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Interview über Korruptionsverfolgung: Fehlverhalten im Gesundheitswesen

Interview über Korruptionsverfolgung: Fehlverhalten im Gesundheitswesen Posted on 27. Dezember 2019

Wer im Gesundheitswesen nicht korrekt abrechnet, gerät ins Visier der Strafverfolgungsbehörden. Der Münchner Oberstaatsanwalt Richard Findl verfolgt Korruption im Gesundheitswesen. Rechtsanwalt Tim Müller von Ecovis in München hat mit ihm über seine Arbeit gesprochen.

Herr Findl, laut Transparency International gilt das Gesundheitswesen als extrem anfällig für Korruption. Warum ist das so?

Im Gesundheitswesen geht es um viel Geld. Die Gesundheitsausgaben belaufen sich im Jahr auf 375,6 Milliarden Euro – das sind die Zahlen für 2017. Zum Vergleich: Das Volumen des Bundeshaushalts lag für das gleiche Jahr bei 329,1 Milliarden Euro. Und die Gesundheitsausgaben steigen jedes Jahr. Das Problem ist: Das Abrechnungswesen fußt auf Vertrauen. Für schwarze Schafe, die die Schwachstellen des Systems ausnutzen, ist das sehr attraktiv.

Ganz einfach ist die Abrechnerei aber grundsätzlich auch nicht, oder? Selbst wer meint, dass er alles richtig macht, macht manchmal Fehler.

Ja sicher. Das Abrechnungssystem ist extrem komplex, nicht selbsterklärend und es ändert sich ständig etwas. Bloße Abrechnungsfehler sind deswegen auch kein Fall für den Staatsanwalt. Darum geht es bei uns nicht.

 Wo genau kommt es zu Betrügereien? Oder anders gefragt: Wie einfach ist es, eine Leistung abzurechnen, ohne diese erbracht zu haben?

Vieles scheint recht einfach: Es werden Leistungen für bereits verstorbene Patienten abgerechnet. Oder: Der Arzt sieht einen Patienten einmal und rechnet aber immer wieder Leistungen für ihn ab, ohne dass der Patient noch einmal bei ihm in der Praxis war. In sogenannten Abrechnungsringen stellen Ärzte und Physiotherapeuten Scheinrechnungen über nicht getätigte Behandlungen aus, die Patienten als Mittäter bei privaten Krankenversicherungen und Beihilfen einreichen. Nach Erstattung der Scheinrechnungen durch die Kassen teilen sich der Patient und die übrigen Beteiligten das Geld.

Sind Betrügereien bei der Abrechnung die einzigen Fehltritte?

Nein. In unseren Verfahren geht es auch um die Gewährung rechtswidriger Vorteile für die Zuweisung von Patienten. Zum Beispiel profitieren Ärzte davon, dass sie Patienten in bestimmte Physiotherapiezentren lenken, an denen sie selbst gesellschaftsrechtlich beteiligt sind.

Gibt es Zahlen, wie hoch der Schaden für die Krankenkassen ist?

Bislang existiert nur eine Studie der Uni Portsmouth. Die Studie geht von einem Schadensvolumen von weltweit sechs Prozent der Gesundheitsausgaben aus. Das wären also in etwa 14 Milliarden Euro allein für die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland.

Gibt es keine deutsche Studie?

Erstaunlicherweise nein. Eigentlich müssten alle Beteiligten im Gesundheitswesen ein großes Interesse an solchen Zahlen haben.

Wie kommen falsche Abrechnungen ans Licht?

Es gibt Mitarbeiter oder Ehegatten, die Hinweise geben. Aber auch durch die Prüfungen der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung bei Pflegediensten kommen Unregelmäßigkeiten ans Licht, obwohl deren Prüfungen immer einen Tag vorher angemeldet werden. Die Kassenärztliche Vereinigung muss Hinweise auf betrügerisches Verhalten weitergeben.

Der Abrechnungsbetrug russischer Pflegedienste hat zu einem großen Aufschrei geführt. Wie ist so etwas überhaupt möglich?

Bei den Pflegediensten gibt es zum Teil durchaus Strukturen, die sich mit der organisierten Kriminalität vergleichen lassen. Es ist viel Geld zu verdienen, und die Kontrollen sind sehr schwach ausgestaltet.

Als wie erfolgreich betrachten Sie Ihre Arbeit?

Wir stehen sicher nicht mehr am Anfang. Auch bei der Polizei in Bayern wurden im vergangenen Jahr Schwerpunktdienststellen eingerichtet. Doch nicht überall in Deutschland gibt es Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die sich mit Abrechnungsbetrug befassen. Sicher wäre eine eigene Fachbehörde zur Unterstützung der Schwerpunktstaatsanwaltschaften wie die Steuerfahndung bei Steuerstraftaten auch für den Abrechnungsbetrug das Beste. Aber wir bauen nach und nach Sachverstand auf. Allein in München ermitteln zehn Staatsanwälte.

Was möchten Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?

Wir haben die schwarzen Schafe im Visier. Es muss sich lohnen, rechtskonform zu arbeiten.

Zur Person

Oberstaatsanwalt Richard Findl (50) leitet die Abteilung XII der Staatsanwaltschaft München I. Seit Oktober 2014 ist diese als Schwerpunktstaatsanwaltschaft zuständig für Korruptions- und Vermögensstraftaten von Angehörigen der akademischen Heilberufe im Oberlandesgerichts-Bezirk München; seit Januar 2016 auch für nichtakademische Heilberufe.

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