Anleihen Finder: Hallo Herr Ludwig, hallo Herr Schneider, wie verlief das turbulente Jahr 2022 an den Anleihen-Handelsplätzen der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank? Können Sie uns da Einblicke vom „Parkett“ liefern?
Marcel Ludwig: Das Handelsjahr 2022 war in vielerlei Hinsicht extrem und schloss sich damit an eine Reihe von Jahren mit außergewöhnlichen Verläufen an. Mit der Corona-Pandemie Anfang 2020 stieg die Volatilität an den Finanzmärkten erheblich, und so natürlich auch in unserem Bond-Bereich. Q1 und Teile von Q2 2020 waren geprägt von diversen Verwerfungen und einem sehr hohen Handelsvolumen. Im zweiten Halbjahr wurde es dann deutlich ruhiger und bei vielen Marktteilnehmern stellte sich eine Art „Abwartungshaltung“ ein. Diese Grundstimmung hielt bis Q4 2021 an. Die Immobilienkrise in Asien im September 2021 leitete dann wieder eine turbulente Zeit ein. Investoren stürzten sich auf diverse Branchen und waren in vielen Sektoren aktiv. Diese Entwicklung zog sich dann bis zum plötzlichen Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Diese zuvor nicht für möglich gehaltene Krise hat die Märkte ein Stück weit schockiert. Bis zum heutigen Tag dreht sich an den Bondmärkten alles um Krieg, Inflation und Zinsen. Speziell Zinsen spielen in unserem Tagesgeschäft eine außerordentlich große Rolle. Emittenten werden vollkommen neu und auch anders bewertet. Viele Refinanzierungen stehen an. Aufgrund dieser Entwicklungen gehen wir auch für 2023 von einem sehr herausfordernden und interessanten Börsenjahr aus.
Anleihen Finder: In welchen Anleihen-Segmenten war die Volatilität am höchsten? Wie verlief der Handel bei KMU-Anleihen?
„Die Zinsschritte aus dem letzten Jahr geben bei dem ein oder anderen Geschäftsmodell berechtigterweise Grund zur Sorge“
Dirk Schneider: Momentan geht es wirklich in allen Bereichen hoch her. KMU-Anleihen reagieren in solchen Zeiten ebenfalls sehr stark und es stellt sich eine dauerhafte neue Volatilität ein. Hier ist immer wichtig, dass die Emittenten gut kommunizieren und die Anleger bei Ihren Überlegungen rechtzeitig mit einbeziehen, um Vertrauen zu schaffen. Die Zinsschritte aus dem letzten Jahr geben bei dem ein oder anderen Geschäftsmodell berechtigterweise Grund zur Sorge. Man kann aber auch gut erkennen, dass Investoren sehr gut informiert sind und die verschiedenen Geschäftsmodelle gut bewerten können. Im Grunde sind derzeit alle auf der Suche nach einer Art Stabilität, die es aber in diesen Zeiten nicht geben kann.
Anleihen Finder: Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Risiken, aber auch größten Chancen im KMU-Anleihesegment? Warum ist das Segment interessant – sowohl für Händler als auch für Investoren?
Dirk Schneider: Unter Umständen sind Bilanzen und auch die Geschäftsmodelle einiger KMU einfacher zu lesen und zu verstehen als bei riesigen Unternehmen mit diversen globalen Beteiligungen. Wie eben schon beschrieben ist es extrem wichtig, dass die Emittenten die Investoren mit guter Kommunikation auf dem Laufenden halten. Wenn die Investoren verstehen, was vor sich geht, ist Vertrauen da und es gibt auch in schwierigen Phasen weniger Abflüsse. Bei guter Analyse entstehen hier also Chancen, „gute“ Anleihen zu erkennen.
„Bei einem extremen Kursverlust mit niedrigen Handelsumsätzen ist ein realistisches Preisniveau bei Anleihen kaum zu erzielen“
Risiken gibt es aber eben auch. Da nun viele Refinanzierungen anstehen kommen manche Unternehmen durch die massiv gestiegenen Zinsen akut in Bedrängnis. Auch gibt es Immer wieder Emittenten, die nicht halten was versprochen wird oder erst sehr kurz und knapp vor Ende einer Laufzeit Probleme kommunizieren. Hier schauen Investoren dann buchstäblich in die Röhre. Bei einem extremen Kursverlust mit niedrigen Handelsumsätzen ist ein realistisches Preisniveau bei Anleihen kaum zu erzielen.
Anleihen Finder: Wie verlief handelstechnisch der Start ins neue Kalenderjahr, in dem die Kapitalmärkte ja bislang einen deutlichen Aufschwung erfahren haben?
Marcel Ludwig: Ja, ein erkennbarer Anstieg einiger Aktienindizes ist zu sehen. Gleichzeitig existiert aber auch wieder hohe Volatilität. Auch hier gibt es verschiedene Theorien. Grundsätzlich hat sich die vorhandene Geldmenge natürlich stark gesteigert und so ist auch ein Anstieg vieler Indizes „logisch“. Dennoch hat man jederzeit das Gefühl, dass eine neue Hiobsbotschaft wie beispielsweise die Verschärfung des Ukraine-Krieges, eine Zuspitzung in Taiwan oder etwaige weitere Zinsentscheide die Märkte wieder stark beeinflussen können. Erhöhte Umsätze im Bondbereich sind Anfang 2023 zu erkennen und gleichzeitig gibt es auch wieder eine Flut an Neuemissionen im institutionellen Bereich. Bei KMUs ist es momentan relativ ruhig.
Anleihen Finder: Mit welcher Markt-Entwicklung rechnen Sie generell in 2023?
Dirk Schneider: Wir rechnen mit einer längerfristigen starken Volatilität und vielen unerwarteten Entwicklungen. Für Wertpapierhändler ist es sehr herausfordernd und auch Privatinvestoren haben es in diesen Zeiten nicht leicht. Ich denke, dass Investoren Anleihen zunehmend als gute Alternative wahrnehmen. Die richtige Auswahl der Papiere ist hier aber der Schlüssel zum Erfolg.
Hinweis: Dieses Interview erschien zunächst in der neuen Ausgabe des Anleihen Finder Newsletters (Februar-2-2023). Registrieren Sie sich hier für unseren kostenlosen Newsletter und seien Sie stets vorab informiert.
Anleihen Finder: Die Restriktionen im Bankgeschäft werden immer größer. Wie geht die Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank damit um?
Marcel Ludwig: Das stimmt. Es wird als kleines Wertpapierhandelshaus immer schwieriger alles zu erfassen und die administrativen Anforderungen sind enorm geworden. Aktuell wurde uns mit den Sanktionen gegen russische und weißrussische Emittenten und verbundene Unternehmen und Personen eine zusätzliche Belastung übertragen. Hier sind die einzelnen Institute angehalten, organisatorische Vorrausetzungen zu installieren, die sicherstellen, dass sanktionierte Anleihen nicht gehandelt werden können. Gleichzeitig gibt es aber bislang nahezu keine verlässliche Datenbank für betroffene Emittenten oder Personen. Es handelt sich also in vielen Fällen um manuelle Einzelfallüberprüfungen. So wird ein im Grundgedanken schlüssiger externer Vorgang zur extremen Belastungsprobe von ganzen Instituten. Dies zieht sich dann über alle Abteilungen. Gesteuert von Geschäftsführung in Abstimmung mit Compliance müssen Händler neue Abläufe etablieren. Gleichzeitig sorgt die IT für eine bestmögliche technische Unterstützung. Alles in allem eine große Herausforderung.
Anleihen Finder: Auf welche Geschäftsbereiche fokussieren Sie sich derzeit und gibt es vielleicht auch neue Geschäftszweige?
„Wir haben den Aktienfonds `Hard Value Fund` aufgesetzt, der unabhängig von ESG-Kriterien agiert“
Marcel Ludwig: Ja, tatsächlich. 2023 haben wir ein längerfristig geplantes Projekt umgesetzt. Wir haben den Hard Value Fund (ISIN: DE000A3D1ZP1) unter unserem Fondslabel „van Grunsteyn“ in Zusammenarbeit mit einer KVG aufgesetzt. Konzept des Aktienfonds sind Value-Investitionen mit dem Ziel der finanziellen Nachhaltigkeit. Die Auswahl möglicher Investments ist sehr breit, weil wir keine ökologischen oder sozialen Ziele verfolgen. Weder streben wir einen ESG-Score an, noch schließen wir bestimmte Branchen pauschal aus. Nach unserem Value-Ansatz können u.a. die Sektoren Tabak, Atom, Fossile Energie, Mining und Rüstung wichtige Bestandteile des Portfolios darstellen.
[Anm. d. Redaktion: Dies ist eine Marketing-Anzeige. Bitte lesen Sie Verkaufsprospekt und KID des Fonds, bevor Sie eine endgültige Anlageentscheidung treffen. Die Dokumente können von der Website www.van-grunsteyn.com heruntergeladen werden.]
Anleihen Finder: Ein Wertpapierhandelshaus setzt einen Aktien-Fonds auf – wie kamen Sie auf diese Idee?
Marcel Ludwig: Spannende Frage. In unserer Gesellschaft gab es in den letzten Jahren einen gewaltigen Ruck hin zu mehr „ESG“ bei der Kapitalanlage. Getragen wurde dies nicht nur von diversen gesetzlichen Maßnahmen. Auch haben sich diverse Fondshäuser dahingehend ausgerichtet, etwa durch Zielwerte für ESG-Scorings oder kategorische Ausschlüsse von Branchen wie Rüstung, Tabak, Atom oder Fossile Energie. Das wiederum führt unserer Ansicht nach zu einer relativen Unterbewertung betroffener Unternehmen. Ergebnisse einer jüngeren Studie von Wissenschaftlern der Uni Gießen bekräftigen dies. Untersucht wurde der Marktwert von ca. 1.800 US-Unternehmen in Relation zu ESG-Score und innerem Wert. Mit dem Hard Value Fund möchten wir denjenigen Investoren eine Alternative bieten, die das Ertrags- und Risikoprofil ihres Portfolios unabhängig von ESG-Kriterien gestalten wollen.
Anleihen Finder: Welche Anlegergruppen sprechen Sie konkret mit dem Fonds an?
Marcel Ludwig: Wir sprechen Privatanleger und professionelle Anleger an und bieten ihnen drei ausschüttende Anteilsklassen, die auf unterschiedliche Bedürfnisse zugeschnitten sind. Insbesondere sollte ein mittel- bis langfristiger Anlagehorizont und eine mittlere Risikotoleranz gegeben sein – aufgrund unserer Value-Strategie liegt der Risikoindikator SRI mit dem Wert 4 genau in der Mitte der Skala (1-7). Solange die ESG-Präferenzen des Anlegers nicht bei 100% liegen glauben wir zudem, dass sich der Hard Value Fund zur Abrundung einer Vielzahl von Portfolien eignet. Der Fonds eignet sich nicht nur für Anleger gänzlich ohne ESG-Präferenzen, sondern auch für Anleger die bereits ESG-Investments getätigt haben, aber die Ertrags-Risiko-Struktur ihres Portfolios abrunden wollen.
[Anm. d. Redaktion: Generell birgt jede Investition das Risiko eines Kapitalverlustes. Ausführliche Informationen zu Risiken entnehmen Sie bitte dem aktuell gültigen Verkaufsprospekt.]
Anleihen Finder: Zu guter Letzt: Warum werden Wertpapierhändler wie Sie trotz zunehmender Digitalisierung und künstlicher Intelligenz an den Kapitalmärkten immer wichtig bleiben?
„Bondmärkte sind grundsätzlich sehr illiquide“
Dirk Schneider: Ich kann hier speziell für den Bondbereich sprechen und nicht für den gesamten Wertpapierhandel. Im Bondhandel spielt der Mensch tatsächlich nach wie vor eine sehr entscheidende Rolle. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich dies in absehbarer Zeit ändert. Bondmärkte sind grundsätzlich sehr illiquide. Es spielen also sehr viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle. In manchen Bonds gibt es über Wochen kein Umsatz und plötzlich gibt es aus diversen unterschiedlichen Gründen Käufer. Zunächst weiß in solchen Situationen niemand, wo der richtige Preis ist. Hier kommt es eben auf die Erfahrung von guten Händlern an. Algorithmen gibt es zwar, aber die haben es sehr schwer in solchen Phasen. Wer weiß wo die Entwicklung bezüglich KI hingeht, aber ich bin sehr optimistisch, dass Menschen in dieser Wertschätzungskette noch sehr lange eine große Rolle spielen werden.
Anleihen Finder: Herr Ludwig, Herr Schneider, besten Dank für das Gespräch.
Anleihen Finder Redaktion.
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