Seit der russischen Invasion in der Ukraine sind die Sorgen um die Sicherheit unserer Energieversorgung groß. Die Abhängigkeit von russischen Importen schnell zu reduzieren und zugleich eine sichere Energieversorgung für die nächsten Jahre zu garantieren, ist deshalb eine dringliche Aufgabe. Gleichzeitig ist aber der Umbau unseres Energiesystems zur Erreichung der Klimaziele dringlicher denn je und muss deutlich beschleunigt werden.
Norddeutsches Reallabor als Impulsgeber
Genau hier setzt das Norddeutsche Reallabor (NRL) an: In dem Verbundprojekt erproben mehr als 50 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bis 2026 neue Lösungsansätze für ein schnelles Erreichen der Klimaneutralität im Norden. Im Fokus steht dabei insbesondere die Entwicklung klimaneutraler Lösungen für die CO2-intensive Großindustrie sowie für die Mobilitäts- und Wärmewende. Erprobt werden soll dies mit großen Demonstrationsanlagen, die zwischen 2022 und 2025 in Betrieb gehen.
Beim Konsortialtreffen des Verbundprojekts mit rund 300 Teilnehmer*innen im Albert-Schäfer-Saal der Hamburger Handelskammer kamen am 29. August alle Partner des Projekts sowie Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen. In einer Reihe von Impulsvorträgen gaben sie Einblicke in innovative Vorhaben aus der Industrie, der Wärmeversorgung und der Mobilität, die unter dem Dach des Norddeutschen Reallabors derzeit umgesetzt werden. Die NRL-Vorhaben zeigen, mit welchen konkreten Wasserstoff-Vorhaben eine rasche Defossilisierung aller Sektoren gelingen und damit die Abkehr von fossilen Energien beschleunigt werden kann. Insbesondere liegt der Fokus auf dem gesamtsystemischen Zusammenspiel von EE-Erzeugung, Wasserstoffproduktion und -anwendung sowie der Nutzung und Speicherung von Abwärme aus der Industrie.
Prof. Dr. Werner Beba, Projektkoordinator NRL und Leiter CC4E der HAW Hamburg: „Unser Großprojekt liefert zentrale Bausteine, um unsere Energieversorgung zukünftig zu sichern, aber gleichzeitig auch die industrielle Transformation zu beschleunigen und Klimaneutralität zu erreichen. Zwischen 2022 und 2025 werden alle unsere Demonstrationsanlagen in Betrieb sein und können bis zu 500.000 Tonnen CO2 jährlich einsparen. Wir werden zeitnah wichtige Impulse für den Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft im Norden geben können. Vor dem aktuellen energiepolitischen Hintergrund richten wir dabei ein besonderes Augenmerk auf deutschlandweite Skalierungspotenziale für die Nutzung von Wasserstoff und industrieller Abwärme.“
Energiepolitische Diskussion zur aktuellen Lage
Im Zentrum des NRL-Konsortialtreffens stand ein energiepolitischer Spitzendialog: Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck betonte in seiner Key Note die Rolle von Reallaboren wie dem NRL als Treiber der Transformation auf dem Weg zur Klimaneutralität. Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher legte die industriellen Perspektiven dar, die durch das NRL in der Metropole Hamburg entstehen. Wie das windreiche Nachbarland Schleswig-Holstein die Energiewende mit dem Ausbau der Windenergie sowie im Wasserstoff-Bereich vorantreiben wird, erläuterte Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Tobias Goldschmidt. Mecklenburg-Vorpommerns Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit Ines Jesse zeigte auf, welche wirtschaftlichen Potenziale durch eine zukunftsorientierte Energiepolitik für ihr Bundesland entstehen.
In einer gemeinsamen Podiumsdiskussion diskutierten die Spitzenpolitiker*innen anschließend gemeinsam mit Vertreter*innen des NRL die aktuellen Herausforderungen, die durch die Klimakrise und die Energieknappheit infolge des Ukraine-Kriegs entstanden sind: Was muss jetzt geschehen und worauf müssen sich Bürger*innen und Unternehmen einstellen? Wie ist eine beschleunigte Transformation insbesondere in der Industrie zu erreichen? Wie können Klimaschutz und wirtschaftliche Prosperität vereint werden, um damit die Zukunftsfähigkeit des Nordens und der ansässigen Industrie zu stärken und zu einer klimaneutralen Industrieregion werden zu lassen? Diese Fragen wurden intensiv diskutiert.
Lösungsansätze des Norddeutschen Reallabors
Die NRL-Partner präsentierten den Stand ihrer Projekte und zeigten, wie sich das Energiesystem der Zukunft konkret gestalten lässt. In drei thematischen Blöcken wurde es anschaulich: So ging es unter anderem um den Einsatz von Wasserstoff und die Abwärmenutzung in der Kupferindustrie am Beispiel der Aurubis AG, um klimaneutrale Produkte in der Chemieindustrie am Beispiel der H&R Ölwerke Schindler GmbH sowie um die Defossilisierung der Raffinerie Holborn mithilfe von grünem Wasserstoff der Hansewerk-Gruppe. Als saisonale Speicherlösung für (Industrie-)Wärme stellten die Hamburger Energiewerke ihren unterirdischen Aquiferspeicher vor. Die Notwendigkeit von integrierten Infrastrukturen für Strom, Wärme und Wasserstoff verdeutlichte Gasnetz Hamburg. Das Thema Wasserstoffmobilität und ihr Potenzial für das Erreichen der Klimaziele im Verkehr wurde durch die hySOLUTIONS AG vorgestellt. Alle Vorhaben sind erfolgreich gestartet, haben einen hohen Innovationsgrad und erreichen in den kommenden Monaten erste Meilensteine.
Zitate zum NRL-Konsortialtreffen
Dr. Robert Habeck, Vizekanzler sowie Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz: „Der Ausbau erneuerbarer Energien ist das Gebot der Stunde, für sauberen Strom und ebenso für eine klimaneutrale Wärmeversorgung. Nur so können wir die Abkehr von fossilen Energien noch besser vorantreiben. Die Bundesregierung unterstützt deshalb das Norddeutsche Reallabor mit mehr als 50 Mio. Euro. Hier wird im großen Maßstab der Aufbau klimaneutraler Wärmenetze vorangetrieben und Energieversorgung auf Basis von grünem Wasserstoff erprobt. Wir müssen besser verstehen, wie ein optimales Zusammenspiel aus der direkten Nutzung erneuerbaren Stroms, der Wasserstoffproduktion aus erneuerbaren Energien sowie der konsequenten Nutzung und Speicherung von Abwärme aussehen kann. Auf diese Weise lernen wir immer besser, auf fossile Energien zu verzichten. Das hilft dem Klima, der Versorgungssicherheit und unserer Wirtschaft. Referenzprojekte wie das Norddeutsche Reallabor können als Ausgangspunkt für regional angepasste Energiekonzepte in ganz Deutschland dienen.“
Dr. Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg: „Hamburg ist eine Modellregion für innovative Klimaschutz-Technologien. Das Norddeutsche Reallabor zeigt, wie mit dem Einsatz von Wasserstoff große Schritte in der Energiewende möglich sind. Insbesondere für die Industrie ist Wasserstoff ein zentraler Energieträger der Zukunft. Hamburg hat das Ziel, zu einem führenden Wasserstoff-Standort in Europa zu werden. Die Projekte des NRL dienen der Dekarbonisierung von Produktionsprozessen und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Ich danke den Partnern im Norddeutschen Reallabor für ihr Engagement und wünsche ihnen viel Erfolg.“
Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur, Schleswig-Holstein: „Die aktuelle Energiekrise zeigt mehr als deutlich, dass eine bezahlbare und zukunftsfähige Energieversorgung nur mit Erneuerbaren Energien sichergestellt werden kann. Das Land Schleswig-Holstein leistet dafür bereits seit vielen Jahren einen wichtigen Beitrag. Das Norddeutsche Reallabor versorgt uns dabei auf direkte Weise mit wirtschaftlichen Impulsen und zentralen Erkenntnissen für den Markthochlauf von grünem Wasserstoff.“
Ines Jesse, Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit, Mecklenburg-Vorpommern: „Mit dem länderübergreifenden Verbundprojekt wollen wir die integrierte Sektorenkopplung mit dem Schwerpunkt Wasserstoff großflächig, technologieoffen, markt- und realitätsnah erproben. Das Thema Wasserstoff ist für uns in Mecklenburg-Vorpommern seit vielen Jahren ein wichtiges Thema. Wir sind prädestiniert als Land der Erneuerbaren Energien: Perspektivisch kann sich unser Bundesland zu einer Wasserstoff-Erzeugungs- und Verbrauchsregion entwickeln. Darüber hinaus soll eine Import-Infrastruktur für Wasserstoff aufgebaut werden. Mit der Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Wasserstoffwirtschaft entstehen neue wirtschaftliche Chancen für mehr Wertschöpfung. Eine Vielzahl zukunftsfähiger Arbeitsplätze kann entstehen. Wir haben die Windkraftanlagen, die den Strom zu seiner Herstellung und auch den Export liefern. Und in einem Flächenland wie unserem ist es sinnvoll, ihn gleich vor Ort dezentral etwa für die Wärmeversorgung oder als Treibstoff zu nutzen. So ist bereits eine lebhafte Branche entstanden, die sich mit diesem Thema befasst.“
Das Norddeutsche Reallabor (NRL) ist ein innovatives Verbundprojekt, das neue Wege zur Klimaneutralität aufzeigt. Dazu werden Produktions- und Lebensbereiche mit besonders hohem Energieverbrauch schrittweise defossilisiert – insbesondere in der Industrie, aber auch in der Wärmeversorgung und dem Mobilitätssektor. Hinter dem im April 2021 gestarteten Projekt steht eine wachsende Energiewende-Allianz mit mehr als 50 Partnern aus Wirtschaft, Wis-senschaft und Politik. Das Großprojekt hat eine Laufzeit von fünf Jahren (04/2021-03/2026). Das Investitionsvolumen der beteiligten Partner beträgt 300 Mio. Euro. Das NRL ist Teil der Förderinitiative „Reallabore der Energiewende“ und wird mit rund 52 Mio. Euro durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. Weitere Fördermittel werden durch das BMDV bereitgestellt. Das NRL versteht sich als ausbaufähige Plattform auch für weitere Projekte.
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