„Es gibt keine perfekte Methode, um die Marktstimmung zu messen – letztendlich ist es eher eine Kunst als eine Wissenschaft“, so Grüner. „Umfragen zum Anleger- und Verbrauchervertrauen stellen nützliche Hilfsmittel dar, aber neben diesen Kennzahlen gibt es noch eine andere Möglichkeit, die allgemeine Stimmung zu messen: Wie sehen die aktuellen Schlagzeilen in der Finanzwelt aus?“ In letzter Zeit hätten sich die Warnungen vor einem „ewigen Wandel“ gehäuft. Die meisten würden dabei einer negativen Grundtendenz folgen und mit aktuellen Ereignissen zusammenhängen. „Sie tragen zu einer niedrigen Erwartungshaltung bei und setzen die Messlatte für die Realität relativ niedrig an – aus unserer Sicht ein positives Zeichen“, resümiert Grüner seine Position.
Wird jetzt alles anders?
Viele Analysten würden die aktuelle Schwächephase der großen Tech-Unternehmen zum Anlass nehmen, das endgültige Ende ihrer Führungsrolle zu verkünden. Auf die breite Wirtschaft bezogen werde vermutet, dass wir uns auf eine Ära dauerhafter Inflation zubewegen und sich der Trend der letzten vier Jahrzehnte umkehre. „Erhöhte Preise wiederum sollen das Konsumverhalten der Verbraucher für immer verändern, da höhere Preise die Menschen dazu bringen, billigere Waren zu bevorzugen und dadurch der Innovationsdrang abgewürgt wird“, meint Grüner. „Andere befürchten, dass COVID und die Lieferkettenprobleme eine dauerhafte und strukturelle Veränderung der Weltwirtschaft nach sich ziehen könnten.“ COVID würde demnach die Arbeitsmärkte für immer neu definieren und das globale Lieferkettensystem sei nicht mehr haltbar – die Zukunft liege in regionalen Netzwerken und das Ende der Globalisierung sei eingeläutet.
Grüner warnt jedoch: „Vorsicht mit diesen Prognosen über den ewigen Wandel!“ Die Gegenwart weit in die Zukunft zu projizieren, sei ein klassisches Beispiel für den Rezenz-Effekt, der seit jeher Anleger zu Fehlentscheidungen verleitet habe. Einige der aktuellen Entwicklungen mögen tatsächlich den Anschein erwecken, dass es sich um den Beginn eines lang anhaltenden Trends handele. Doch die Geschichte sei voll von Beispielen vermeintlicher Paradigmenwechsel, die im Sande verlaufen seien. „Ein Paradebeispiel stellen die langfristigen Prognosen für den Ölpreis dar, die in der Historie stets erheblichen Wahrnehmungsfehlern unterlagen“, so Grüner. Die Theorien von „Peak Oil“ bis hin zur „ewigen Talfahrt beim Ölpreis“ seien demnach nie in der Realität angekommen.
Grüner hält diese langfristigen Projektionen dennoch für nützlich, eben weil sie etwas über die aktuelle Stimmungslage aussagen würden. Weit in die Zukunft reichende Prognosen seien oft ein Zeichen für irrationalen Optimismus oder ungerechtfertigten Pessimismus. Aktuell sei definitiv letzteres der Fall, denn die Projektionen würden ein äußerst trostloses Bild zeichnen.
Fazit
Langfristige Prognosen seien mit Vorsicht zu genießen – natürlich sei es möglich, dass einige Veränderungen dauerhaft eintreten und in ferner Zukunft große Auswirkungen haben. „Sie gehören aber nicht zu den zyklischen Faktoren, welche die Nachfrage nach Aktien in den nächsten drei bis 30 Monaten beeinflussen – das ist der relevante Zeitraum für die Anlageentscheidungen von heute“, resümiert Grüner. „Lassen Sie sich nicht vom Rezenz-Effekt auf die falsche Fährte locken.“
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