Die Schilderung aus der Sicht dieser betroffenen Frau war so eindrücklich, dass wir es nicht für uns behalten wollen. Frau Wilhelm erzählte uns:
„Vorab gesagt: Kurzarbeit ist immer noch besser als den Job zu verlieren. Das historische Kurzar-beits-Niveau von 18% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im April 2020 war ein Peak, von dem auch ich damals dachte, dass er schnell überschritten und der Normalitätszustand wieder herstellbar wäre. Dass dem nicht so war, musste ich in den folgenden Monaten feststellen.
Ich bin dankbar, dass aus der Kurzarbeit keine Arbeitslosigkeit geworden war – obwohl sich das in man-chen Momenten klarer angefühlt hätte.
Mein Gedankenkarussell drehte sich schnell und mit wenigen Pausen – es konnte ja sein, dass mein Arbeitgeber diese Krise nicht überstehen würde – dann wäre die Kurzarbeit der traurige Vorbote der Arbeitslosigkeit gewesen.
Einschätzen konnte ich das nicht, denn ich hatte keine Informationen über den Stand der Dinge.
Natürlich war mit klar, dass das aus Arbeitgeber-Sicht ebenfalls eine sehr ungewöhnliche Situation sein musste.
Da ist zum einen der breite wirtschaftliche Aspekt, im Rahmen dessen man die eigene Liquidität nur sehr bedingt beeinflussen kann. Dauer, Intensität und Auswirkungen waren und sind weiterhin die große Unbekannte in dieser Gleichung. Darüber hinaus hat meine Geschäftsführung die Verantwortung für uns Mitarbeiter. Hier ist gute Kommunikation gefragt, denn mit Transparenz und stetiger Information kommt man gemeinsam gut durch eine solche Phase.
Was hat mich als Arbeitnehmer konkret interessiert?
Nun, zunächst mal hatte ich Existenzängste. Kurzarbeitergeld ist zwar eine schicke Sache, dennoch geht es zunächst einmal um erhebliche Einbußen.
Weiterhin wollte ich wissen, nach welchen Kriterien Arbeitszeiten reduziert werden. Die Optionen reichen von „weil es nichts zu tun gibt“ bis hin zu „weil du ein hohes Gehalt bekommst und wir Kosten reduzieren müssen“.
Recht bald stellte ich die Überlegung an, ob ich mich nun bestenfalls präventiv wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen sollte. Andererseits fühlte ich mich dem Arbeitgeber gegenüber loyal und wollte nicht sofort die Flucht ergreifen. Also blieb ich – erstmal.
In der Hoffnung, dass das kein Fehler wäre. Es war kein Fehler.
Ich war insgesamt 10 Monate in Kurzarbeit, im Rahmen derer ich überwiegend an zwei Tagen die Woche gearbeitet habe.
In dieser Zeit passierte einiges mit mir.
Ich entwöhnte mich vom Fulltime-Arbeitsleben. Von einer zuvor offiziellen 40 Stunden Woche plus Überstunden degenerierte ich zu einer 16 Stunden-Woche. Große Themen konnten nicht mehr angegangen werden, wir switchten den Modus von proaktiv-zukunftsgewandt zu einer erhaltenden Pflege. Ich sah meine Kollegen nicht mehr, eine Teamkultur gab es fast nicht mehr.
Projekte und Tätigkeiten, die zuvor innerhalb von 3 aufeinanderfolgenden Arbeitstagen erledigt waren, zogen sich über Wochen; weil der Kollege nicht da war zu einer Freigabe, weil Dienstleister auch in Kurzarbeit waren, weil diejenigen, die noch arbeiteten, hoffnungslos überlastet waren. Ich wurde entschleunigt – Entschleunigung, nicht nur im Alltag, sondern vor allem in meinem Kopf.
Klar, gleichzeitig gab es auch Platz für neue Dinge. Nie begonnene Hobbies. Aufwändige Themen, die im Alltag stecken geblieben waren. Persönlichkeitsentwicklung, regelmäßig Sport, Wandern mittwochs morgens um sieben.
Aber, den anderen zuschauen beim Vollzeit-HomeOffice bedeutete auch ein Gefühl von unnützer Wertlosigkeit – dann und wann.
In meinem Fachgebiet bedeutet das aber auch: FOMO. Fear of missing out – die Angst, Dinge zu verpassen. In der Unternehmenskommunikation dreht sich die Welt schnell weiter. Immerhin konnte ich durch Online-Veranstaltungen einigermaßen mithalten – umsetzen konnte ich jedoch nichts.
So wurde schließlich das Arbeiten im Büro zu einem außergewöhnlichen Happening: Früh aufste-hen, 8 Stunden in einem Raum sein. Ganz anderer Rhythmus als die restlichen Tage der Woche. Still-sitzen, an einer Sache bleiben – und sie doch nicht fertigbekommen.
Nach einigen Monaten Kurzarbeit und der Ankündigung, dass sich der Zustand bis weit in 2021 ausdehnen würde, begann ich, mich anderweitig umzusehen. Mein Sicherheitsbedürfnis und das Bedürfnis etwas Sinnvolles in meinem Beruf zu schaffen, drängten mich, diesen unseligen Zustand zu beenden.“
Frau Wilhelm war mit Ihrer Entscheidung erfolgreich, wie wir bei unserem Kunden sehen konnten. Und doch relativierte sie dies – für Arbeitstiere wie uns – in eine unerwartete Richtung:
„Ich fühlte mich gut – allerdings, nach der Kurzarbeit war nicht gleich wieder Hundertprozent mög-lich. Nach der Kurzarbeit musste ich mich eingewöhnen: Wieder jeden Tag ins Büro. Jeden Tag konzentriert arbeiten, 8 Stunden lang.
So waren meine Abende nicht nur Glückseligkeit über den wundervollen neuen Job und Dankbarkeit für ein gesundes Unternehmen und volles Gehalt – es war auch endlose Erschöpfung. Es war weniger Leistungsfähigkeit als ich von mir selbst gewohnt bin. Es war die Rückkehr in den Power-Mode.“
Warum teilen wir das?
Viele Unternehmer haben gerade alles andere als eine leichte Zeit.
Sie haben vor allen Dingen Verantwortung für die Menschen, die in Ihrem Unternehmen arbeiten. Unabhängig davon, in welcher Situation sich Ihr Unternehmen befindet: Kommunizieren Sie mit Ihren Mitarbeitenden klar und deutlich. In Krisenzeiten gilt das besonders.
Sagen Sie klar, wie es um die Prognosen steht, was Sie tun und wie Sie kalkulieren. Diese Transpa-renz schafft Vertrauen bei Ihren Mitarbeitenden.
Geben Sie Ihren Mitarbeitenden Informationen weiter, die für sie wichtig sein könnten, beispiels-weise, was nach der Kurzarbeit steuerlich und in Sachen potenzieller Rückzahlungen auf sie zu-kommen kann.
Erklären Sie viel, erklären Sie, warum und nach welchen Kriterien Sie Entscheidungen treffen und treffen müssen.
Und der unbedingte Tipp von Frau Wilhelm:
Wenn Sie Mitarbeitende aus der Kurzarbeit zurückho-len oder neue Mitarbeitende einstellen, die vorher in Kurzarbeit waren: unterstützen Sie sie beim Wiedereinstieg. Seien Sie sich dessen bewusst, dass sie sich wieder eingewöhnen müssen.
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