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Von der Mikroskala zur Landschaft: Wie Mikroorganismen die Atacama Wüste verändern

Von der Mikroskala zur Landschaft: Wie Mikroorganismen die Atacama Wüste verändern Posted on 27. Oktober 2020

Zu Beginn dieses Jahres erregte Dr. Patrick Jung von der Hochschule Kaiserslautern durch die Entdeckung einer neuen Lebensgemeinschaft in der Atacama-Wüste Aufsehen. Jetzt wies er gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen der Universitäten Rostock, Freiburg, Kassel und Hannover nach, welche Rolle diese Lebensgemeinschaft bei der Veränderung von Landschaften und der Entstehung von Boden spielen.

Bereits Anfang des Jahres wurde bekannt, dass sich eine der vielleicht ausdauerndsten mikrobiellen Lebensgemeinschaften, die wir kennen, lange Zeit in der hügeligen Landschaft der küstennahen Atacama Wüste Chiles versteckte. Ein interdisziplinäres Team um Dr. Patrick Jung von der Hochschule Kaiserslautern berichtete dabei von Flechten, Algen und Pilzen, die auf und in kleinen Quarzsteinen leben und zwar so massenhaft, dass sie den eigentlich beigefarbenen Boden in der Landschaft stellenweise schwärzlich erscheinen lassen. Zudem stellte sich heraus, dass die Organismen mit ihren filamentösen Strukturen die Quarzsteinchen verkleben und so eine richtige Kruste bilden. Daher lag es nahe, diese steingebundene Lebensgemeinschaft in der extremen Atacama Wüste Grit Crust zu nennen. Dass die neue Lebensgemeinschaft gerade in der Atacama Wüste gefunden wurde, ist für die Forschung schon allein deshalb aufregend, weil diese Wüste nicht nur die älteste und trockenste Wüste der Welt ist, sondern mit einer Durchschnittstemperatur von 15 °C und Maximalwerten, die 30 °C nicht übersteigen aber auch nicht unter den Gefrierpunkt fallen, über ein eher gemäßigtes Temperaturspektrum verfügt. Auch in Bezug auf das Gestein herrscht in der Atacama Wüste eher noch der „Urzustand“ vor, ein Zustand, vor einem Einfluss von Verwitterungsprozessen, die Gestein zerbröseln lassen und zusammen mit kleinsten Organismen in das verwandeln, was Fachleute „Boden“ nennen – davon ging man zumindest lange aus.

Nun legte das interdisziplinäre Team um Dr. Patrick Jung einen neuen Artikel nach, der ein Verwitterungsszenario eben dieser Grit Crust Organismen in der Atacama Wüste, ausgehend von Gestein bis hin zur anfänglichen Bodenbildung, beschreibt. „Als wir die Grit Crust entdeckten und anfingen diese zu erforschen, war uns das Ausmaß der Wechselwirkungen zwischen den Organismen und den Quarzsteinchen, die sie besiedelten nicht klar“ – so Dr. Patrick Jung, Erstautor beider Studien. Anfänglich charakterisierten die Wissenschaftler die Grits, also die Quarzsteinchen, und fanden heraus, dass es sich nicht nur um reinen Quarz handelte, sondern um eine polykristalline Gemengelage verschiedener Mineralien, die spröder ist als Quarz, und somit optimale Voraussetzungen für die Besiedelung durch Mikroorganismen und einsetzende Verwitterungsprozesse bietet. Da bereits bekannt ist, dass vor allem Pilze durch z.B. das Ausscheiden von Säuren Gestein zersetzen können, waren die Forscher nicht überrascht, diese Lebewesen zahlreich und zusammen mit Algen auch im Inneren der Grits zu finden. „Es ist deutlich zu erkennen, dass die Grits sehr stark fragmentiert und komplett mit den Strukturen der Mikroorganismen durchsetz sind“ berichtet Dr. Karen Baumann, Wissenschaftlerin von der Universität Rostock und Mitautorin der Studie, begeistert. Vor dem Hintergrund, dass nur Nebel und Tau die einzigen regelmäßigen Wasserquellen in der Atacama Wüste sind, zeichnet sich ein interessantes Bild: Die Organismen nehmen dieses Wasser auf und schwellen dabei enorm an. Dieses Anschwellen setzt sich durch die Organismen auch in tiefere Strukturen des Gesteins fort und drückt die spröde Gesteinsmasse auseinander. Abtrocknung und erneute Schwellung – ein Zyklus, der sich mehrere Male bei Tag und auch Nacht wiederholt. „Zusammen mit Verschiebungen des pH-Wertes, was zu Ätzungen am Gestein führt, und einigen anderen biogeochemischen Prozessen, zerbröselt das Gestein mit der Zeit“ erklärt Dina Emrich, Doktorandin der Universität Freiburg und Mitautorin der Studie. Hinzu kommt, dass Staub aus der Landschaft vermehrt an den Flechten, Algen und Pilzen der Grit Crust kleben bleibt und sich so weiteres feines Material zwischen und schließlich unter den Grits ansammelt. Hierdurch entsteht über lange Zeiträume Boden, der mit Nährstoffen der abgestorbenen Organismen angereichert ist.

Interessanterweise befinden sich im Nationalpark Pan de Azúcar, in dem die Grit Crust besonders stark verbreitet ist, auch noch massive Felswände, die vermutlich das Ausgangsmaterial der kleinen bodendeckenden Grits darstellen. Diese Felswände sind ebenfalls von ähnlichen Organismen, wie die der Grit Crust auf dem Boden, besiedelt. Zieht man nun in Betracht, dass das Klima der Region seit Millionen von Jahren nahezu unverändert blieb und Flechten, Algen und Pilze ebenso alt sind, zeichnet sich schnell ein ganzes Szenario: Die Forscher gehen davon aus, dass die Organismen an den Felswänden über Millionen von Jahre simultan diverse Verwitterungsprozesse auf das Gestein ausübten, mit der Folge, dass hier heute überwiegend die zerbröselten und mit Organismen besiedelten Grit Steinchen am Boden zu finden sind. Dieses zeigt, dass insbesondere mikroskopische Organismen durch eine Vielzahl an biogeochemischen Aktivitäten das Gestein auf Landschaftsniveau verändern und zur Bodenbildung in einem der extremsten Ökosysteme unserer Erde beitragen.

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