Elektrische Signale einer Zelle können mit Elektroden in der Größenordnung dieser Zellen (30 µm) erfasst werden. 60 dieser Elektroden werden als sogenanntes Multielektrodenarray auf einer Fläche von einem Quadratmillimeter zusammengefasst und erlauben die Aufnahme der Aktivitäten komplexer Zellverbände, wie sie z.B. in einem neuronalen Netzwerk vorliegen. Dazu lässt man Zellen auf einen Chip aufwachsen, dessen Elektroden die elektrischen Veränderungen der Zellen messen. Die MEAs eignen sich hervorragend dazu, Einflüsse von Wirkstoffen oder Toxinen auf erregbare Zellverbände zu untersuchen. Ein besonderer Ansatz besteht in der Simulierung neurodegenerativer Erkrankungen wie Morbus Alzheimer oder Parkinson in der Kulturschale und der Erfassung von Veränderungen der elektrischen Signale im Rahmen der Erkrankung oder Therapie.
Die standardmäßig eingesetzten Systeme haben jedoch einige Nachteile. So müssen die Zellen zunächst für einen bestimmten Zeitraum auf den MEA-Oberflächen aufwachsen, bevor stabile Ableitungen möglich sind. Bei Nervenzellen beträgt diese Zeitspanne wenigstens 21 Tage. In dieser Zeit sind die MEAs belegt und können nicht für andere Untersuchungen verwendet werden. An der Hochschule Kaiserslautern, Standort Zweibrücken, geht das Forschungsprojekt MEAplusNano unter der Leitung von Professor Karl-Herbert Schäfer und Professorin Monika Saumer nun einen Schritt weiter. Um die Nutzungszeiten der MEAs klein zu halten und so die Kosten zu reduzieren, erforscht die Arbeitsgruppe die Möglichkeit der Nutzung perforierter Glasplättchen (Coverslips), auf denen die Zellen zunächst kultiviert werden. Diese bewachsenen Coverslips werden dann mit der Zellseite nach unten auf die Elektrodenfläche aufgelegt. In Kombination mit neuartigen miniaturisierten Durchflusssystemen (Mikrofluidik) und nanostrukturierten Elektroden, welche die Sensitivität der Elektroden erhöhen, ergeben sich eine optimale Versorgung der Zellen mit Nährmedium, bessere Signale und eine kurze Messzeit. „Diesen Upside-down-Ansatz haben wir schon patentieren lassen“, erzählt Prof. Dr. Karl-Herbert Schäfer und verweist auf die dramatische Kosteneinsparung, die mit diesem Ansatz möglich ist.
Durch die Coverslip-Methode umgeht man auch das Problem sogenannter Adhäsionsmoleküle. Diese werden von direkt auf MEAs wachsenden Zellen gebildet und verankern sie auf dem Chip. Löst man nach dem Ende des Experimentes die Zellen vom Chip, bleiben minimale Proteinspuren zurück, die bei erneuter Kultur zu Veränderung der Wachstumsbedingungen führen. So ist ein Vergleich einzelner Versuchsgruppen nicht ohne weiteres möglich, da die Restproteine die neu aufwachsenden Zellen beeinflussen können. Die Nutzung der Coverslips als Einmalprodukt vermeidet dieses Problem und liefert gleichzeitig einen weiteren Vorteil: Die Kulturen können nach dem Versuch fixiert, gefärbt und untersucht werden, ohne dass dieses Vorgehen das eigentliche MEA beeinträchtigt.
Die Zellen benötigen für das Wachstum eine Nährlösung. Ein weiterer Nachteil der herkömmlichen Messmethode besteht darin, dass die Reservoire über den MEAs mehrere hundert Mikroliter dieses Zellkulturmediums enthalten, was zu einer Verdünnung der von den Zellen abgegeben Faktoren führt. Die Forscher an der Hochschule Kaiserslautern wollen nun erreichen, dass die Menge an Medium, das die Zellen umgibt, deutlich minimiert und in einem abgeschlossenen System verdunstungssicher realisiert wird. Mit dieser Mikrofluidik ist man näher an den tatsächlichen Verhältnissen im menschlichen Körper.
Gerade hat die Arbeitsgruppe vom Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Förderbescheid über mehr als 900 000 Euro erhalten. Vier Partner aus der Industrie arbeiten mit den Zweibrücker Forschern zusammen. „Wir testen gerade den Einfluss eines Medikamentes, das von einem dieser Unternehmen hergestellt wird, auf Darmnervenzellen. Auch Stoffe wie Glyphosat und ihre Auswirkungen auf die Zellen können wir untersuchen“, erklärt Professor Schäfer, „die Methode funktioniert sehr gut.“
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